Ein Dorf und seine Rennen





Früher hatte dieser Satz absolute Gültigkeit, und heute?
Bis vor ein paar Jahrzehnten war der Sommer in Iffezheim in zwei Abschnitte geteilt:
vor und nach dem Rennen. Viele werden sich noch an Gespräche der Art erinnern: „Du wônn machsch denn dess und säll?“ „Nôchem Renne, vorher hab i keij Zidd meh“. Alle Arbeiten in Feld und Flur mußten vor oder nach dem Rennen erledigt werden. Während der Renntage war das ganze Dorf für die Rennen eingespannt. 
Die Pferde waren in den Ställen der Bauern untergebracht und mußten versorgt werden. Die Reiter und Trainer waren ebenfalls bei den Iffezheimer Familien untergebracht. 
Jeden Morgen wurden Gruppen von Pferden durch die Straßen in Richtung Rennbahn zum Training geführt. Der "Kölscher Emil", ein Invalide, war eigens dafür angestellt, die Hauptstraße in Höhe des Schäsebuggels (Rennbahnstraße) abzusperren, damit die Pferde aus dem südwestlichen Teil des Ortes die Haupstraße gefahrlos überqueren konnten - ein Pferdelotse quasi. 
Die Jugendlichen der Gastfamilien, waren die Gäste nun Pferde oder Rennsportler, versuchten ständig sich gegenseitig zu übertrumpfen: „Bi uns wuhnt där un där.“, „Bi uns wuhnt da ..., der isch besser wie da dinger.“, „Bi uns stiht dess un säll Ross.“ (“Bei uns wohnt dieser und jener.“, „Bei uns wohnt der ..., der ist besser als Deiner.“, „Bei uns steht dieses und jenes Pferd.“)
Und was für ein Triumph, wenn „sein“ Jockey oder eines „seiner“ Pferde erfolgreich war. „I heb da 's jô geseijt ghet, daß da ming da Beschd isch.“ (“Ich habe es dir ja gesagt, daß der meinige der Beste ist.“) Selbst die Erwachsenen hatten ihren Graddl mit „ihren“ Pferden. Ich sehe heute noch, den Ernschde Sepp vor mir stehen, wie er mit Stolz geschwellter Brust erzählte, daß ihr Heu das einzige gewesen wäre, welches von Kincsem gefressen worden wäre.
Wer wissen wollte, welcher Rennstall schon da war, brauchte nur bei 's Stößers vorbeizugehen. Dort auf dem Dreieck zwischen Witt- und Weierweg parkten die Transporter der Gestüte und Rennställe. Die ganz Neugierigen radelten hinaus zum Badwäkriz (Kreuzung Hauptstraße B36) um dort die in den Ort fahrenden Transporter als erste zu erspähen.
Für die Iffezheimer Jugend waren die Pferderennen die erste Möglichkeit eigenes Geld zu verdienen. Vor der Zeit des Computertotalisators, als es  zum einen noch gesonderte Kassen für Sieg-, Platz-, Einlauf- und Dreierwetten gab und die Wettscheine aus mit der Startnummer bedruckten von Blöcken abgerissenen Zetteln bestanden, zum anderen es getrennte Einzahl- und Auszahlkassen gab, mussten die einzelnen Totalisatorgruppen über die Nichtstarter, Ergebnisse und Quoten schriftlich unterrichtet werden. Das Überbringen dieser Meldungen war Aufgabe der „Läufer“, die aus den Iffezheimer Jugendlichen rekrutiert wurden. 
Vor der Totozentrale sammelten sie sich in langen Schlangen und bekamen dort die Zettel mit den neuesten Nachrichten ausgehändigt. Nun galt es  für den Läufer diese auf schnellstem Wege zu „seiner“ Gruppe zu bringen. Danach hatte der Läufer frei bis zur Ausgabe seiner Daten für das nächste Rennen. Mit dem Aufkommen des Computertotalisators wurden die meisten Läufer überflüssig. 
Auch für die Erwachsenen bot die Rennbahn Möglichkeiten das Einkommen aufzubessern: Als Parkwächter, am Totalisator, auf der Bahn, wo die durch die Hufe der Pferde gerissenen Löcher bis zum nächsten Rennen gestopft werden müssen.
Nachdem die Besucher das Gelände verlassen haben, muß dieses für den nächsten Renntag wieder herausgeputzt werden. Dabei waren viele Iffezheimer Frauen am Werk, die Tausende von Tipzetteln, weggeworfene Rennprogramme und Zeitungen zusammenzulesen und die Flaschen, Gläser und Scherben zu beseitigen.
Das ganze Dorf im Dienste der Rennen. Und heute?
Die EG-Politik führte zum Aussterben der Klein- und Nebenerwerbslandwirte, wodurch die Unterstellmöglichkeiten für die Pferde wegfielen. Die „Gastboxen“ mussten gebaut werden, zunächst unterhalb der Josefstraße, später die nördlich des ehemaligen, jetzt zum Sattelplatz gehörenden zweiten Platzes. Damit entfiel eine wichtige Klammer zwischen Rennen und Dorf.
Eine weitere entfiel mit dem Ausbleiben der Rennsportgäste, zum einen wurden im Boxendorf Übernachtungsmöglichkeiten für das Stallpersonal geschaffen, zum anderen übernachten nun viele Trainer und Jockeys in Baden-Badener Hotels.
Trotz der fehlenden früher stärkeren Bindung zur Rennbahn ist man auch heute noch stolz ein Rennbock zu sein.
 

 
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