6. Dezember 1942: Luftmine trifft Iffezheim

 

Im Gedächtnis der älteren Generation ist sie immer noch präsent und in der Ortsmitte zeugen die Häuser im Stil der Fünfziger Jahren noch heute von der Schreckensnacht, als rings um den Schnittpunkt Hauptstraße / Rennbahnstraße Alles in Schutt und Asche sank.

Hildegard Laubel, Franz Walter, Maria Büchel

Eigentlich hat es Franz Walter seiner späteren Frau Angelika König zu verdanken, daß er den Nikolaustag 1942 überlebt hatte. Der damals Zwanzigjährige hatte nach fast zwei Jahren Krieg erstmals Fronturlaub bekommen und kam Anfang Dezember 1942 in sein Heimatdorf zurück. An diesem Sonntagabend saß er zusammen mit einigen Freunden und Bekannten auf ein Bier in der Gaststätte „Zum Anker“ gegenüber der Kirche, als die Sirenen kurz nach Acht abends feindliche Flieger ankündigten. Ankerwirt Karl König löschte sofort die Lichter und zog die Verdunkelungsvorhänge zu, erinnert sich der 91- jährige Franz Walter. Die Wirtstochter Angelika bat die Richtung heimischen Keller oder öffentlichen Luftschutzbunker aufbrechenden Zecher, einen Augenblick zu warten, bis sie sich die Rot – Kreuz – Uniform übergeworfen habe, damit sie sie ein Stück des Weges zum Verbandsplatz an der Grundschule begleiten könnten. Diesen Wunsch erfüllte Franz Walter ihr gerne, der dreißigjährige Gottlieb Merkel indes, wollte seine Eltern nicht allein zu Haue lassen und brach sofort auf.

 

Verwüstung der Hauptstraße; rechts vom Bildrand das Grundstück von Stierhalter Merkel, auf das die Bombe fiel (Foto: Archiv Maria Büchel)

Im Abstand von etwa siebzig Metern folgten ihm Angelika König und Franz Walter die Hauptstraße entlang in Richtung Osten. In  Höhe des Gasthauses „Zur Sonne“ vernahm Franz Walter das Unheil verkündende Rauschen der fallenden Bombe. „Volle Deckung“ rufend, warf er sich auf die Straße, während Angelika König Schutz in der überbauten Hofeinfahrt des Gasthauses suchte. Franz Walter sah noch wie Gottlieb Merkel das Hoftor zum elterlichen Anwesen an der Einmündung der Rennbahnstraße öffnete, als mit ohrenbetäubenden Krach die auf die Brandbomben folgende Luftmine in der Jauchegrube der Merkels  detonierte und Tod und Zerstörung über das Renndorf brachte. Er habe Glück gehabt, daß er auf Angelika König, die Jahre später seine Frau werden sollte, gewartet habe, so Franz Walter, denn sonst hätte er das Schicksal mit Gottlieb Merkel, dessen Sarg leer bleiben mußte, geteilt. Er sei lediglich durch Trümmer des herabfallenden Daches der Gastwirtschaft an der Hand verletzt worden. Sein Elternhaus an der Kreuzung Linden- und Josefstraße sei ebenfalls abgedeckt worden, berichtet Walter.

Die Schwestern Maria Büchel und Hildegard Laubel sowie ihr Bruder Emil, waren mit ihrer Mutter Margarethe Schneider zu Hause in dem wohl schönsten Fachwerkhaus Iffezheims an der Biegung der Rennbahnstraße als Alarm gegeben wurde. Vorschriftsmäßig wurde verdunkelt und Mutter Schneider lugte, sich Überblick verschaffend, durch ein Fenster Richtung Norden. Was sie sah erfüllte sie mit Angst und Schrecken: nördlich der Rennbahn gingen die Zielmarkierungen, im Volksmund „Christbäume“ genannt, nieder. „Heute wird es schlimm, wir gehen in den Bunker!“, befahl sie ihren Kindern. Sie habe gerade die Klinke der Haustüre angefasst, als diese durch die Druckwelle der Explosion aufsprang und sie unter sich begrub, erinnert sich die damals fünfzehnjährige Maria Büchel. Von Angst gepackt und in Panik seien die Vier über Balken geklettert, durch Trümmer und Staub  in Richtung „Sonne“ gehetzt, um im rückwärtigen Eiskeller Schutz zu suchen.

Das Schicksal habe es gnädig mit ihnen gemeint, so Maria Büchel, einige Augenblicke früher auf der Straße und von ihnen wären, wie von ihre Nachbarin, nur einige Kleiderfetzen übrig geblieben.

 

Blick in die zerstörte Rennbahnstraße; links mit Förderband das Grundstück Merkel (Foto: Archiv Maria Büchel)

Ihr Vater Philipp Schneider, war als Gruppenführer der Freiwilligen Feuerwehr just auf dem Weg zum Sammelplatz an der Grundschule, als die Bombe einschlug und ihn meterweit durch die Neue (damals Adolf – Hitler –) Straße schleuderte, berichtet Maria Büchel weiter. Philipp Schneiders Verletzungen waren so schwer, daß sein Leben auf des Messers Schneide stand und er erst nach einem Vierteljahr aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte.

Wie Maria Büchel berichtet, seien bei den Aufräumarbeiten auch Gefangene eingesetzt worden. Die abgemagerten Gestalten in gestreifter Kleidung hätten „elend Hunger“ gehabt. Einer von ihnen hätte gar Karottenschalen vom Misthaufen geklaubt. Um das Elend etwas zu lindern, hätten sie den Häftlingen Brot und frische Hausmacherwurst zugesteckt.

Insgesamt forderte der Angriff zwölf Menschenleben, darunter die einjährigen Zwillinge Dieter und Rolf Brümmer und die halbjährige Hedwig Schneider, sowie 27 zum Teil schwer verletzte Menschen. Einundzwanzig Gebäude wurden komplett zerstört, weitere 46 wurden schwer und 303 Gebäude leicht beschädigt. Die keine zweihundert Meter von der Abwurfstelle entfernt stehende katholische Kirche war so schwer beschädigt, daß die Gottesdienste in der Festhalle abgehalten wurden. Das Grundstück Ecke Hauptstraße / Neue Straße wurde nach dem Krieg nicht gleich wieder bebaut und diente bis in die zweite Hälfte der Sechziger als Jahrmarktsgelände.

Herzlichen Dank an die drei Zeitzeugen, für die Zeit, die sie sich genommen haben, um mir ihre Erlebnisse zu schildern. Einen besonderen Dank an Reinhard Büchel für die Organisation und seine Fahrdienste und einen ganz, ganz großen Dank an Gabi Büchel für ihre immer gemütlich angerichtete Kaffeetafel.

 

Euer Kommentar an Matthias
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